Angelika's Bericht aus Kusadasi und zur aktuell "bewegten" Lage.
Ein Bericht zum "nur lesen", der aber auch zum Nachdenken anregt, denn wir sehen, wie das Projekt langsam und in kleinen Schritten "wegbröckelt"...
Als hätten wir nicht schon genügend mit den Auswirkungen der politischen Lage zu leiden, so kam es noch ein außergewöhnlich
starkes Erdbeben vor unserer Küste mit Werten auf der Richterskala von 6.4. Die Auswirkungen des Bebens vor der Küste von Izmir und der Insel Lesbos waren sogar noch deutlich in Istanbul und
Athen zu spüren.
Hier in Kusadasi saßen wir in der vierten Etage des Gebäudes fest und mussten die unendlich langen 20 Sekunden abwarten. Diese
Urgewalt eines Bebens ist sehr beeindruckend und zugleich beängstigend, denn man möchte weglaufen, aber wohin, wenn der ganze Boden weich wie Pudding und das Gebäude am Wackeln ist?
In den nächsten zwei Tagen werden über 280 Nachbeben erfolgen, manche etwas schwächer, manche wieder deutlich stärker um die
4.2.
Nachdem der erste Schock einigermaßen verkraftet ist, ist jedoch in der folgenden Nacht nicht gerade an einen erholsamen Schlaf
zu denken. Meine Tierchen kuscheln sich an mich. Das Bett ist mehr als belegt und bei jeder Erschütterung sind alle wieder unruhig auf den Beinen.
Nachts um halb drei entdeckt dann die Cockerdame Sissi ihr Spiegelbild im Wandspiegel und damit ist es nun ganz vorbei mit Schlafen. Das sowieso schon gestresste Tier kläfft und lässt sich erst beruhigen, als wir gemeinsam in den Garten gehen. Na klasse, die Mücken freuen sich an meiner Anwesenheit. Ich könnte durchdrehen, denn in wenigen Stunden beginnt meine Arbeit. Das kann ja heiter werden, wenn ich da gerädert im Büro erscheine und meine Telefonate führen muss.
Am Haus hat es einige Klinker zum Abfallen gebracht und der Türrahmen ist etwas verzogen, den werde ich dann mit dem Schwingschleifer in neue Formen bringen. Ansonsten scheint alles in Ordnung zu sein.
Der Rest der Garten-Katzenbande findet die nächtliche Aktion interessant. Ich entschließe mich, noch Trockenfutter aufzufüllen,
so können die gestressten Fellchen ihre Bäuche füllen.
Gegen vier Uhr beziehe ich wieder meinen Schlafplatz - selbstverständlich mit reichlich Fellchen -, aber wenigstens kann ich
jetzt noch etwas schlafen.
Am Morgen dann die Feststellung, dass die kleine Tiny schweren Katzenschnupfen hat, die Äuglein sind verklebt und die Nase läuft grün aus. Das kleine Miezekind ist sehr schwach. Fressen will sie nicht, trinken auch nicht, sie liegt nur herum, hat keine Kraft bei der Wärme und dem schwülen Wetter.
Mit Antibiose, Reconvalenzpulver und natürlich der guten Ziegenmilch wird sie wieder zwangsernährt, immer Energie und Flüssigkeit rein. Begeistert ist sie nicht, aber nach 3 Tagen wird ihr Zustand stabiler. Sie zeigt schon wieder Interesse am Futter und leckt schon mal die Soße vom Nassfutter.
Sissi, der kleinen Spanieldame, geht vollkommen das Herz bei der kleinen Katze auf. Sie umtüdelt die Kleine, leckt sie sauber,
als wäre es ihr eigenes Kind und kuschelt mit Tiny.
All diese Liebe lässt Tiny schnell wieder zur alten Form kommen.
Doch es geht noch weiter:
Die Kartonkinder mit ihrer Mama sind mittlerweile in mehreren Stufen in den Garten eingegliedert worden. Eine Aktion, die nicht
unbedingt einfach war.
Der erste Versuch, die Mama in den Garten zu setzen und die Halbstarken im Katzenzimmer einzugliedern, versprach kaum Erfolg.
Mama saß im Garten und plärrte, obwohl sie längst nicht mehr säugt und umgekehrt saßen die Lütten auf der Dachterrasse und plärrten. Das ganze Geplärre wurde aber mit zunehmender Zeit nicht
weniger, sondern mehr.
Nun musste ich also handeln, denn ich wollte am folgenden Morgen meine Freundin auf Kos besuchen. Die griechische Insel ist von
Bodrum aus mit dem Auto in 2 Stunden von mir aus entfernt und sollte mir die Pfingsttage etwas Abwechslung und Erholung bringen.
Kurz entschlossen fange ich die Mama wieder ein und bringe sie zu den Halbstarken, die mittlerweile den Dachboden und die
Terrasse rocken.
Am Morgen , als ich meine Balkontür öffne, um noch einige Wäschestücke zu holen, begrüßt mich Mutti dort mit den drei
Halbstarken.
Da hat das Katzentier doch in der Nacht die Lütten von der dritten Etage in die zweite geschafft. Wie, das bleibt ihr
Geheimnis, aber mich schauen 4 Augenpaare an und verlangen nach Frühstück.
Wie sie freischwebend die Kleinen über das Vordach in die darunterliegende Etage gekriegt hat, ist mir schleierhaft. Vielleicht
sind sie auch nacheinander die Balken runtergerutscht - wie bei der Feuerwehr. Ich bin fassungslos und lasse ihnen den Balkon, bis ich am folgenden Tag aus Kos zurückkehre, dann gibt es einen
neuen Versuch.
Sirin, meine Tochter, weiß Bescheid und versorgt während meiner Abwesenheit die Tiere mit Futter und Wasser.
Nach der Rückkehr von Kos zieht die gesamte Familie auf den Wohnzimmerbalkon mit Anschluss an den Garten. Nun sind alle Beteiligten glücklich, denn All inklusive-Futter wird auch hier serviert.
Die Mieze mit dem schlimmes Abszess ist nun auf dem vernetzen Balkon und auch ihr Auge, das sehr in Mitleidenschaft gezogen war, wird langsam besser. Kleine Verhärtungen auf der Hornhaut werden zurückbleiben, aber das Auge wird sie behalten können.
Sie bekommt Gesellschaft durch Tiny und zwei Findelkinder, die von der Mutter angeblich verstoßen worden sind und von einem Tierfreund aus Söke aufgepäppelt wurden. Jedoch konnte er sich nicht weiter um sie kümmern, weil er umziehen wird. So vereinbarte ich mit dem Tierfreund, die Tiere auf dem Rückweg von Kos in Söke abzuholen und Tiny als Spielgefährten mitzubringen. So kann sie mit gleichaltrigen Katzenkindern ihre Erfahrungen sammeln und aufwachsen.
Während meines Aufenthalts in Kos war ich jedoch per Handy nicht erreichbar. Was für ein Unding! Wie kann ich mir allen Ernstes
einfallen lassen, nicht die teuren Rooming-Gebühren für Anrufe jeglicher Art bezahlen zu wollen!
Es ist unglaublich, aber in Windeseile werden Gerüchte und Vermutungen in die Welt gesetzt:
Ich hätte die Personen absichtlich blockiert und würde bewusst nicht ans Telefon gehen. Von anderer Seite erfahre ich, dass ich
ja sowieso nicht mehr für den Tierschutz arbeite, weil ich ja unheilbar krank und fast tot sei!
Anrufe dieser Art erhält auch Tierarzt Nevzat, der den Leuten sagt, dass ich für - nur für einen einzigen Tag (!) - nicht
erreichbar bin und mich bester Gesundheit erfreue, denn wir hätten am Tag zuvor in der Klinik noch gesprochen und Tee getrunken.
Desweiteren kommen bitterböse Emails bei Petra an, weil ich nicht erreichbar sei. Sie denkt sich jedoch ihren Teil und weiß,
dass ich nach Erhalt meiner Aufenthaltsgenehmigung, auf die ich nun über 10 Monate gewartet und gezittert habe, erst einmal außer Lande bin.
Ich muss hier einfach mal klarstellen, dass ich Vollzeit arbeite, alleinerziehend bin und in meiner Freizeit ehrenamtlich den
Straßentieren hier zur Seite stehe im Rahmen meiner Möglichkeiten, aber nicht bei jedem Anruf, bei Fuß stehen kann. Auch ich bekomme Probleme mit meinem Arbeitgeber, wenn ich nicht für ihn zur
Verfügung stehe und meinen Job mache. Auch ich muss Sirins und mein Leben hier finanzieren und kann mich nicht rund um die Uhr für den Tierschutz engagieren.
In den meisten Fällen ist einfach die Bequemlichkeit der Leute, die ihr Problem auf mich verlagern (wollen), was einfacher ist,
als selbst nach Lösungen zu suchen. Wenn ich dann nicht sofort springe und zu ihnen fahre, heißt es umgehend: "Die macht ja nichts."
Ich habe auch nur zwei Hände und Beine und kann mich nicht zerreißen.
Dann noch hören zu müssen, "die macht ja eh nichts", ist echt das Sahnehäubchen. Ich möchte nur einmal erleben, wenn ich
während der Arbeitszeit jemandem aus dem Tierschutz in Deutschland, der das freiwillig macht, anrufe und verlange, dass ich umgehend Hilfe verlange und dieser sofort zu Erscheinen
habe.
Im Übrigen kann ich hier nur ordentlich arbeiten; also erkrankten oder verunfallten Tieren helfen und Kastrationsanfragen
befürworten, wenn hierfür ausreichende finanziellen Mittel - also Spenden - dem Verein vorliegen. Denn alle Rechnungen für Kastrationen und Behandlungen sind zu begleichen, auch wenn wir einen
guten Tierschutztarif bekommen. In der letzten Zeit mussten wir daher immer öfters Kastrationen ablehnen und die Hündinnen und Katzen wurden dann trächtig.
Ich helfe gern und versuche möglichst schnell die anfallenden Probleme zu lösen, doch im Alleingang können auch Sunnydays und
ich nichts erreichen. Hierfür brauchen wir den Zusammenhalt und die Unterstützung unserer Spenderinnen und Spender.
Und hier sind wir dann wieder beim Thema: Was kann das Tier hier in der Türkei für die politische Lage, wenn es erkrankt oder
von Menschen zusammengefahren wird? Was können der Verein und ich für diese Situation?
Nichts!
Wir beklagen uns nicht und arbeiten so gut wie möglich weiter. Aber warum ziehen sich so viele Menschen zurück? Gut, hier
keinen Urlaub machen zu wollen ist das eine Paar Schuhe, aber wie erkläre ich das dem Straßentier, was mich aus seinen verklebten Augen anschaut und mit struppigem Fell um Hilfe bittet oder
zuckend, nach einem Unfall - den im Übrigen der Mensch verursacht - auf der Straße unter möglicherweise höllischen Schmerzen auf den Tod wartet? Dass wir leider nur noch wenige Spenden bekommen,
weil alles, was mit Türkei zu tun hat, unerwünscht ist?
Auch wenn hier die Erde wackelt - sei es auf poltischer Ebene oder weil die Erdformationen sich bewegen - das Leid geht
weiter!
Auch wenn man seinen Urlaub in andere Gefilde verlagert: Wir haben hier trotzdem jeden Tag aufs Neue Notfälle, wollen weiterhin
das Leid reduzieren, indem wir kastrieren, also an der Wurzel arbeiten. Ich bereits seit 25 Jahren und zusammen mit Sunnydays nun im 5. Jahr. Gemeinsam haben wir schon so vieles geschafft, soll
dies alles umsonst gewesen sein?
Wegschauen und verdrängen ist keine Lösung. Um Lösungen zu finden, muss man sich den Anforderungen und Problemen stellen und
das tue ich hier in Kusadasi jeden Tag - zusammen mit meinen treuen Helferinnen, wie beispielsweise Can.
Auch in diesem Moment, während ich dies schreibe, wackelt die Erde - gerade jetzt
rüttelt ein weiteres Nachbeben an meinem Schreibtisch. Diese Beben sind beängstigend und sie dauern nun schon tagelang - Tag und Nacht - an. Der Boden fühlt sich an wie Pudding. Und wenn einer
der Kollegen nur mal versehentlich an Deinen Schreibtisch stößt, springst Du auf und willst nur nach draußen rennen. Man gewöhnt sich nicht an die Schaukelei der Gebäude und der Erde - ebenso
wenig wie an das Leid der Tiere!
Ich muss hinschauen, ich kann nicht wegschauen! Helft uns bitte und unterstützt uns mit einer noch so kleinen Spende, damit wir
hier den Fellchen und Samtpfoten helfen und das Leid lindern können.
Wir sind ein gutes Team, miteinander vernetzt und in ständiger Kommunikation, aber ich bin das letzte Glied in der Kette - hier
vor Ort.
Ich kann nur so gut und effektiv arbeiten und Leistung bringen, wenn ich Euren Rückhalt und Eure Unterstützung aus der Ferne
erhalte. Bitte vergesst das nicht, denn die Tiere auf der Straße, die keine Lobby haben, werden euch still und demütig danken.
Abschließend möchte ich allen danken, die uns ohne mit der Wimper zu zucken ständig unterstützen und mir sogar Futterspenden
zukommen lassen, nachdem auch kein Animal Aid mehr aus Deutsch über SunExpress zu buchen und herzubringen ist.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank an Gudrun, Herrmann und Emir! Eure letzte Futterbestellung war wie ein warmer Regen und wird
die Bäuchlein auf der Straße füllen.
In diesem Sinne wünsche ich Euch ein schönes Wochenende und bis demnächst aus der "wackeligen" Türkei
Eure Angelika